Hier gibt’s ordentlich was auf die Augen. Und in den Kopf! Denn nicht nur erzählt Kate Charlesworth in United Queerdom äußerst humorig ihren persönlichen Werdegang nebst Coming Out(s), sie verschränkt es mit dem Werdegang ihres Heimatlandes in Sachen Toleranz und Gleichstellung all jener, die mit Heteronormativität nicht viel am Hut haben.
(c) Carlsen
Kate wird 1950 in Nordengland geboren. Und genau in dem Jahr setzt auch der historische Rückblick mit dem ersten time-line fact sheet ein. Darauf lernen wir aus faksimilierten Zeitungs- und Buchcovern nebst dazugehörigen Infokästen, dass – zum Beispiel – Roberta Cowell 1951 die erste öffentlich bekannte Transfrau Großbritanniens ist oder 1953 die BBC zum ersten Mal das Wort homosexual über den Äther sendete.
Diese Infoseiten sind mit der autobiografischen Erzählung verschränkt. Sie beschreiben die wichtigsten Begebenheiten von jeweils fünf oder zehn Jahren und sie sind genauso kurzweilig wie lehrreich. Neben diesen Jahresblättern gibt es auch noch einzelne einschlägige Themenseiten, zu Alan Turing, weiblichen Cartoon-Vorbildern, den Stonewall Riots, Damentennis und und und …
Aber der Kracher (vor allem für mich „armes“ Übersetzy!) sind die Episoden der »Girls von Grimsdyke Hall« – dahinter verbergen sich Stücke aus Gilbert-&-Sullivan-Opern, die KC passend auf einige wichtige Lebensstationen umgedichtet hat. Die kann die werte Leserschaft nun auch auf Deutsch mitträllern, das Liedgut findet sich (mit und ohne Bühnengeschehen) auf youtube.
Ach ja, und eingebettet ist das ganze in eine Rahmenhandlung, die in der (mehr oder weniger) Jetztzeit spielt: Kate ist mit Gattin und zwei Freundinnen im Urlaub und lässt das Erzählte in Rückblenden Revue passieren. Wem das jetzt alles zu viel erscheint, der*die sei beruhigt: Das alles fügt sich ganz wunderbar zusammen – wie ein guter Blätterteig. Mjam.
Denn grafisch ist alles so stringent aufbereitet und klar voneinander unterscheidbar, dass immer klar ist, wo man gerade steckt. Und die Abwechslung zwischen (historischer) Theorie und (Lebens-)Praxis gibt dem Ganzen eine luftige Lockerheit, die ohne diese Mischung wahrscheinlich fehlen würde.
Also mit über 300 Seiten ein wahres Opus Magnum. Und in 7 Jahren gibt es dann hoffentlich die Fortsetzung, in der die 2020er Jahre zusammengefasst werden. Hoffentlich mit keinen Rück- sondern weiteren Fortschritten in Sachen Gleichberechtigung und vor allem Gleichstellung. Und so nennt Kate als Beweggrund ihres Werk die Mahnung, dass der erreichte Status Quo weder althergebracht noch selbstverständlich ist. Sondern hart erkämpft, unter vielen Rückschlägen. Es gilt, ihn weiter zu verteidigen und auszubauen. In diesem Sinne – bildet Euch!
P.S.: Wir verkaufen derzeit drei von Kate persönlich signierte Exemplare – beim Hamburger Comicfestival hatte ich das große Vergnügen, sie ein wenig kennenzulernen. First come, first serve!